Archiv für den Monat: Januar 2013

Back’s Dir selbst!

Überall dasselbe, überall Massenware nach Schablone: Wo sind die richtigen Bäcker geblieben? Berlin hat ein Brot-Problem.

Warum hat eigentlich fast jeder (vermeintliche) Bäcker in Berlin genau die selbe Brot- und Brötchenauswahl? Sind das alles nur Industrie-Teiglinge oder einfach beliebte Sorten – Weltmeisterbrötchen, Fitnessbrötchen oder wie sie alle heißen? Das ist doch Verbrauchertäuschung (mein Beitrag zur gerade endenden Grünen Woche).

In der vergangenen Woche habe ich mit einem Bäcker gesprochen, der heute nur noch als Bäckerberater arbeitet und spezielle Internetplattformen für die Branche entwickelt hat. Damit kämpft er gegen den Vormarsch der industriellen Zusatzstoffe und Fertigwaren in die Backstuben. Es ist erschreckend wie stark die Großindustrie Einfluss hat auf das Geschehen in den Bäckereien und wie stark sie selbst zur Konkurrenz wird.

Brot bei Aldi, Lidl, Penny und Co sei doch genau so gut wie beim Bäcker sagen viele und wissen gar nicht was sie da essen und wie sie damit die richtigen Bäcker kaputtmachen. In einer Großstadt wie Berlin hat man – zumindest bei uns im Kiez – nur noch die Auswahl zwischen Backshop mit Aufbackteiglingen und dem Bioladen, der aber jeden Morgen per Lkw beliefert wird – bio schön und gut.

Da wird immer auf die große Bedeutung von gutem Brot gepocht und in Wahrheit geht es nur noch ums gute Marketing der Industrie. Auch die Statistik zeigt, dass immer mehr Handwerksbäcker zumachen müssen. Das ist doch erschreckend.

Ich kapituliere!

Auch ich habe kapituliert, wir sind nämlich jetzt selbst ins Backgeschäft eingestiegen und versuchen uns selbst mit Brötchen zu versorgen. Ohne Backmischung, Fertigpackungen und Co. ist das aber echt nicht so einfach. Wir üben noch wie man sieht.

Natürlich freue ich mich an unseren eigenen Brötchen und mit der Zeit werden die bestimmt auch optisch ein Hingucker, aber gleichzeitig finde ich es auch schade, dass es so weit kommen musste.

Aufruf an alle kleinen Handwerksbäcker: In Berlin gibt es eine echte Nachfrage nach richtigem Brot, nach ganz normalem Nicht-Aufbackfertigteigbrot und ein wenig Abwechslung auf dem Frühstücksteller. Ich bin mir sicher, dass damit richtig Erfolg haben kann – auch ohne Bio-Masche und Ökofreak-Image. Denn normales Brot – so ursprünglich mit Sauerteig und so – ist doch eigentlich frei von Chemie und so.

Auch Bäckereiberater Michael Messemer sagt, dass man etwas fürs ursprüngliche Brotbacken tun müsse und dass es sich lohnt, sich wieder ein wenig mehr um das zu kümmern, was im Brot drinsteckt. Nicht nur Lebensmittelallergiker wie ich wären froh, direkt beim Broteinkauf zu erfahren, ob chemische Zusatzstoffe im Brot sind oder nicht.

„Back’s Dir selbst!“ – klingt gut und wir sind auch ehrlich stolz auf unsere Brötchen. Aber es ist auch irgendwie eine Notlösung. Schade!

Wo sind die richtigen Bäcker geblieben?

Im Hier und Jetzt – fraglich?

Marshmallows sind der Grund allen Übels. Marshmallows entscheiden über den Erfolg im Leben: Loser oder High Potential? Lieber sofort eines davon oder später ganz viele? Allein diese Frage kann entscheidend für die eigene Zukunft sein.


Glaubt man dem österreichischen Persönlichkeitsforscher Walter Mischel so bekommen diejenigen ihr Leben viel besser in den Griff, die lernen zu verzichten. Das Leben im Hier und Jetzt und die Bedürfnisse des Augenblicks soll man zugunsten der Zukunft zurückstellen. Wer das schafft, wird später belohnt – und das richtig dicke.
Die Theorie des sogenannten Marshmallow-Experiments klingt erst einmal einfach und sehr interessant. Aber wenn man sich das Leben in dieser Form mal konkret vorstellt, entsteht so doch auch ein riesiger Frust. Vielleicht auch Wut und Aggression. Wenn der Augenblick egal ist, bleibt doch nur noch Wettkampf.
In der Praxis sah das Ganze – das war übrigens schon 1968 (wie in der neuen Ausgabe des Froh-Magazins steht) – sah das Experiment dann so aus, dass Mischel Kinder vor die Wahl stellte sofort eine kleine Belohnung bekommen zu können oder eine größere, wenn sie ein wenig darauf warten würden. Die Belohnung waren Marshmallows, deshalb der Name des Experiments. 
Die Kinder entschieden sich natürlich nicht alle gleich und Mischel belohnte sie entsprechend. Jahre später schaute er sich dann an, wie die Lebensläufe der Probanden in Schule und Berufsstart entwickelt hatten. Es zeigte sich, dass diejenigen, die lieber auf die größere Belohnung gewartet hatten, viel erfolgreicher und zielstrebiger im Leben vorankamen. Sie waren angeblich selbstbewusster und stressresistenter.

Ist das also der Schlüssel zur großen Karriere?

Ich glaube schon, dass Verzicht manchmal ganz hilfreich ist in unserer Überflussgesellschaft. Aber es macht doch nicht glücklich, wenn man nur auf die Zukunft hinarbeitet und nie mal den Augenblick genießt. Muss denn alles immer auf Effizienz getrimmt sein?
„Heute schon an morgen denken“ – das prophezeien ja nicht nur Versicherungsmakler, die einem eine private Vorsorge andrehen wollen. Man soll jetzt Sport machen, damit man lange gesund bleibt. Man soll jetzt gesund essen, damit man später nicht an Arterienverkalkung leidet oder so. Man soll jetzt viel Geld verdienen und vor allem zurücklegen, damit man auch später noch etwas davon hat. Blablabla….


Natürlich ist das nicht falsch, aber ohne das „Hier und Jetzt“ gibt es doch auch kein morgen. Warum verschulden sich die Leute und trimmen ihr ganzes Leben dann aufs Abbezahlen, wenn sie dann nicht mehr ruhig schlafen können? Warum muss jeder ein eigenes Auto fahren, wenn er dafür dann nicht mehr ins Kino oder Theater geht oder nicht mehr in den Urlaub fährt nur weil er ja noch so viel abbezahlen muss?

Nur um später mal toll und erfolgreich dazustehen?

Auch mich beunruhigt die Zukunft und auch ich wüsste gerne, was dann irgendwann mal kommt und wo es hingeht. Aber dafür heute auf alles oder zumindest ganz viel zu verzichten ist doch Quatsch. OK, stressresistent ist das vielleicht nicht. Aber das klingt ja so, als müsste man den Stress als Standard akzeptieren. Nur wer Stress kann, kann auch Zukunft. Oder wie?
Ich finde es fraglich mit dem ‚verzichten können‘ auch das Selbstbewusstsein von Menschen zu erklären. Es gehört doch immer grundsätzlich Selbstbewusstsein dazu, wenn man in Hier und Jetzt eine klare Entscheidung trifft – auch für die sofortige kleine Belohnung, für das kurze Glück.
Die Zukunft zu ignorieren, macht nicht glücklich. Aber die Gegenwart doch auch nicht.
Dass immer mehr Effizienz uns kaputt macht, zeigt sich doch auch immer wieder. Effizienz in der Wirtschaft, in der Arbeitswelt, in unserer industriell überzüchteten Welt. Alle reden jetzt ständig über Entschleunigung und so. 
Aber gleichzeitig werden massenweise Tiere in Hochleistungsfabriken gesperrt für die spontane Lustbefriedigung in einem kurzen Augenblick bei Mc Donald‘s und Co. Es werden massenweise Äcker für die Herstellung von Biosprit bepflanzt, nur damit alle weiterhin mit ihren Luxuskarren und dazu einem vermeintlich guten Gewissen unterwegs sein können. Gleichzeitig verhundern jetzt in unserem Hightech und Fortschrittsgläubigkeitszeitalter noch immer massenweise Menschen.
Ein wenig mehr ‚Hier und Jetzt‘ und Präsenz vor Ort wie gestern bei der Demo gegen die Agrarindustrie und die aktuelle Verbraucherpolitik der Bundesregierung kann eben doch Zeichen setzen. Ganz selbstbewusst gebe ich in einem Punkt dem Marshmallow-Experten Recht. Wenn er sagt, dass der Verzicht auch Erfolg bringen kann, dann passt das gut zum Thema Konsum. Aufpassen muss man aber, dass man bewusstes Verzichten nicht nur in die Zukunft aufschiebt, sondern lernt in der Gegenwart damit umzugehen.

Vielleicht ist das ja viel selbstbewusster als alles andere!?



Finger weg! Und chill mal, Keule!

Alle loben den Fortschritt. Fortschritt ist Entwicklung, Fortschritt ist Veränderung, Fortschritt ist gut. Aber manchmal darf die Welt auch stehen bleiben und alles darf so bleiben wie es ist. Beim „höher, schneller, weiter“ auf immer und ewig kann es nur Verlierer geben. Die Erde dreht sich doch von alleine. Oder nicht?
Da wo Altes vergeht, muss nicht immer gleich Neues entstehen. Die Diskussionen um das Tempelhofer Flugfeld zeigen gerade am allerbesten, dass man auch einfach mal die Finger von etwas lassen kann und alles trotzdem gut ist und bleibt.

Das Flugfeld im Sommer noch ohne Schnee.
Als der Flughafen vor ein paar Jahren dicht gemacht und dann frei für die Öffentlichkeit wurde, hat sich alles wie von selbst in eine riesige Wohlfühloase entwickelt. Mit voller Begeisterung nutzen seitdem Alte und Junge, Sportliche und entspannte Spaziergänger, Familien und Freaks und wer sonst noch so zu Berlin gehört die Wiesen, Start- und Landebahnen einfach so wie sie sind und sind dabei einfach happy.
Auch als wir am Sonntagnachmittag bei Minusgraden und eisigem Wind dort waren, war das Feld voll von Menschen. Respekt Leute! Ich habe echt gefroren, aber es war auch schön anzusehen, was hier los ist.
In einem Filmchen der Initiative „100Prozent Tempelhofer Feld“ bringt es eine junge Frau auf den Punkt, was man hier fühlt. Sie erzählt davon, dass hier einfach nur gaaaaanz viel Platz ist – nicht immer üblich in der Großstadt – und dass man hier in fast alle Richtungen den Horizont sehen kann.
Die Initiative hat aber nicht nur solche träumerischen Filme erstellt. Eigentlich ist sie ganz schön ernst, denn sie kämpft gerade darum, dass auf dem Flugfeld alles so bleiben kann, wie es jetzt ist. Einfach so, ohne großen Schnick-Schnack, ohne Wohnanlagen und Gewerbeeinheiten und ohne dass hier eine quadratisch-praktisch-gute Parkanlage (mit viel kleinerer Fläche als jetzt) angelegt wird.
Aber der Senat will die Finger eben nicht davon lassen. Er will Investoren anlocken und verspricht unter dem Vermarktungstitel „Tempelhofer Freiheit“ Toplagen mitten in der Stadt. Eine seltsame Definition von Freiheit.
In der Kälte am Sonntag.
Natürlich geht es auch um den sogenannten sozialen Wohnungsbau. Berlin lockt nämlich auch viele Hipster an und die wollen Wohnungen kaufen – egal zu welchen Preis. Hauptsache die Lage stimmt. Bitte citynah, bequem und gleichzeitig mit dem ein wenig abgefuckten Berlin-Style in der Nähe (nur nicht im eigenen Luxus-Wohnzimmer). Doch mit den Hipstern steigen auch die Mieten und nicht jeder kann da noch mithalten.
Klar muss es neue günstige Wohnungen geben, aber warum auf dem Tempelhofer Feld? Berlin hat doch noch ganz andere Freiflächen übrig.
Auf Facebook kursiert momentan immer wieder ein Bild eines Plakats, auf dem es darum geht, wie Berlin verändert werden kann und ganz passend dazu hat jemand darauf gekritzelt: „Lass mal Keule, das macht Berlin schon ganz alleene!“ – Genau das ist es!
Warum muss man Dinge gewaltsam domestizieren, wenn sie auch so funktionieren? Schwachsinn. Alle lieben das Flugfeld, so wie es jetzt ist. Da muss man nichts verändern, da braucht es kein künstliches Wasserbecken und so.
Einfach mal „Finger weg!“. Wie heißt es so schön: Leben und leben lassen. Der Rest klappt dann schon, wenn der richtige Zeitpunkt da ist und das wiederum passt herrlich zum heutigen Tag: dem offiziellen „Tu-heute-mal-gar-nichts-Tag“. Also Füße hoch und chillen, Keule!
Ab morgen kann der Fortschritt ja dann wieder ein bisschen mitspielen. Und wer will, kann dann auch noch gegen die Baupläne auf dem Tempelhofer Flugfeld unterschreiben.
Auch ich nutze das Flugfeld.