Archiv für den Monat: Februar 2013

Luxusprobleme

„Wir rennen hektisch herum, suchen nach einem warmen Plätzchen im Leben und tun nichts. Wir reden nur furchtbar viel.“ Sind unsere Sorgen und Ängste nur Fassade einer riesigen Langeweile? Sind es Luxusprobleme?
„Wenn wir mit unserem Leben zufrieden sind, wissen wir doch auch bestens wie man schweigt.“ Sind wir ewige Meckerer, weil wir uns nicht trauen glücklich zu sein? Kann es uns denn schlecht gehen in einem so sicheren Land wie Deutschland und einer so modernen Welt wie das 21. Jahrhundert sie uns bietet?
„Nur mit unserem Schmerz gehen wir hausieren.“ Warum sind die Bücher so voll von persönlichen Schicksalen, warum die Medien so überbordend mit Klagen, mit Skandalen und schlechten Menschen, die falsche Entscheidungen treffen?
Zitate, die 1904 entstanden. In Russland, bei Ärzten, Juristen und Dichtern – der Oberschicht der damaligen Zeit, der Intelligenz. Und trotzdem treffen sie den Kern, hier, jetzt, heute, bei einigen und vielen. Zitate aus dem Stück „Sommergäste“ von Maxim Gorki.
Ich habe es in der Schaubühne gesehen und war erstaunt über das Hier, Jetzt, Heute. Es passt so und ich renne genauso hektisch herum und meckere.
Kurz danach – vom Schauspiel zum (banalen) Fernsehen – in einer Talkrunde im ZDF das Thema: „Ausgepowert, ausgelagert, ausgebeutet -macht Arbeit krank?“ Und wieder die Frage, ob wir immer nur über Luxusprobleme klagen?
Da behauptet einer, dass Burnout nur eine Modeerscheinung ist. Der nächste sagt, dass wir uns die langen Arbeitswege und die Dauererreichbarkeit über Handy und Smartphone selbst aussuchen und deshalb selbst dafür verantwortlich sind. Ich schaue im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre.
Zurück zur Oberschicht, zu den Luxusproblemen: Wer keine Probleme hat, der macht sich welche. Ist es schon so weit? – So ein Schwachsinn wird auch immer nur von denen verbreitet, die genug Geld haben, um ihren Stress auszulagern – Outsourcing für den Seelenmüll sozusagen.
Natürlich kann heute jeder grundsätzlich frei entscheiden, wie, wo und wie viel er arbeitet. Aber was ist denn schon „grundsätzlich“? Es gibt so viele, die eben nicht frei entscheiden können und für sehr wenig Geld arbeiten gehen. Es gibt kranke Menschen und Menschen, die sich für andere einsetzen und genau deshalb Stress haben.
„Grundsätzlich“ sucht doch wirklich jeder nur nach einem warmen Plätzchen im Leben und „grundsätzlich“ haben wir im Weltmarktführer-Wunderland Deutschland auch immer eine soziale Hängematte, die uns auffängt. Und deshalb sind das alles auch irgendwie Luxusprobleme. Aber „grundsätzlich“ ist das Leben eben nicht.
„Jeder will sein Stück vom Glück für sich selbst behalten.“ Und hier liegt vermutlich der Fehler. Wir müssen anfangen statt dem Frust und den schlechten Nachrichten auch mal die Freude zu teilen. Das Leben macht doch so viel Spaß. Wer will denn da nur faul herumliegen und von Liebe, Lust und dem warmen Plätzchen träumen? Suchen wir lieber danach – ohne zu meckern!

Die „Zeit“ nennt das Stück in seiner Kritik übrigens „Unser momumentales Nichts“ – gut getroffen.

Dass man die eigene Leidensfähigkeit nicht so ernst nehmen sollte, zeigt in der aktuellen Inszenierung ein Darsteller besonders gut: Ein Hund, der das ganze Stück über mit dabei ist. Er rennt umher – ganz ohne Hektik – und sucht etwas zu fressen. Er legt sich hin, wenn es müde ist und lässt sich kraulen, wenn er gerade Lust dazu hat. Einfach frei Schnauze.

Das Leben "eingetuppert"

Neulich in der S-Bahn: Ich sitze in einem typischen Viererabteil und die Bahn zuckelt vor sich hin. Ein älterer Mann steigt ein und setzt sich neben mich. Er holt eine Plastiktüte raus, wickelt ein Buch aus und fängt an zu lesen. Mir gegenüber setzt sich ein junges Mädchen nimmt erst eine kleinen Stoffbeutel aus der Tasche, dann daraus eine Handcreme und cremt sich sorgfältig die Finger ein. Danach wird alles wieder ordentlich einsortiert. und als nächstes ist das Handy dran: raus aus der Schutzhülle und ran ans Ohr.
Zwei Tage später wieder in der S-Bahn: Ich stehe im Gang und warte, dass die volle Bahn endlich abfährt. Hinter der Glasscheibe, die die einzelnen Abschnitte zwischen den Türen trennt, sitzt ein Typ etwa in meinem Alter und isst eine Banane. Diese hat er aber natürlich nicht einfach so in der Tasche transportiert. Nein, er hat dazu eine passende Tupperdose in Bananenform. Unglaublich.
Beim Einkaufen trifft man Leute fast jeden Alters mit extra-schicken Tiefkühltaschen, damit die Lebensmittel auch bloß nicht zu warm werden beim Transport, und rückenschonenden Einkaufstrolleys. Ziehen statt Tragen und das schon ab Mitte 20 – häh? Alles funktional, praktisch und ordentlich. Boah ey, was ist das für eine Welt?

Hier mein Beitrag zur Ordnung. Sieht doch schon aufgeräumt auf, oder?

Bin ich die einzige, die aus Zeit-, Platz- und Bequemlichkeitsgründen einfach alles in eine Tasche wirft? Natürlich ist meine Handtasche dementsprechend geräumig und hat auch schon viel erlebt: ausgelaufene Wasserflaschen, zerknüllte Zeitungen und immer wieder auch mal zerquetschte Bananen. Aber diese Tasche sorgt auch für Überraschungen, wenn ich darin etwas suche und plötzlich verloren geglaubte Dinge wiederfinde oder sogar ein wenig Kleingeld oder Bonbons, Müsliriegel oder abgelaufene Kopfschmerztabletten (die dann doch noch geholfen haben).
Natürlich ist Ordnung praktisch und so manch eine Schutzhülle verhindert, dass teure Bücher kaputt gehen oder Handys in Apfelschorle ertränkt werden. Aber wer hält denn so eine Disziplin aus, immer alles zu ordnen und richtig zu verpacken. Habe ich etwas verpasst? Ist Ordnung der neue Trend und nur, wer richtig verstaut und vorausschauend denkt, hat verstanden wie der Hase läuft?
Vielleicht tragen ja bald auch alle Gummihandschuhe und blaue Plastiküberziehen über den Schuhen aus Angst vor Schmutz und um die Schuhe vor Abnutzung zu schonen. Vielleicht gibt es bald Hosentaschen mit mehreren Ebenen und eigenem Trennsystem. Und wie wäre es mit Tupperdosen, um Kaugummis einzeln aufzubewahren – schließlich halten die dann vielleicht länger frisch. Hey, das sind Marktlücken und wenn der Trend so weitergeht, kann ich damit vielleicht reich werden. Wer sucht, der findet.
Aber ich glaube, ich suche noch ein wenig weiter – ob in meiner Handtasche oder auch so! Denn meine Handtasche lebt manchmal wirklich.

Ein Plädoyer für Langeweile

Die Tage werden geschluckt, die Wochen und Monate und man selbst gleich mit dazu. Kennt ihr den Moment, in dem die Zeit ein Eigenleben bekommt und man selbst nur noch hinterherrennt?

Die vergangenen Wochen sind einfach nur gerast. Sie sind passiert, geschehen und vergangen. Einfach so geflutscht. Und irgendwie hatte ich das Gefühl fast unbemerkt einfach so mit zu flutschen – ohne Einfluss auf das Geschehen.

Jetzt ist schon wieder Montag und der Terminkalender für die Woche ist voll. Das soll jetzt nicht nöhlig  klingen oder nach „oh, was für ein Stress„, sondern einfach nur verwundert über die Zeit, die verrinnt und man kann sie nicht festhalten. Vieles geschieht einfach nur so und ehe man sich versieht ist es vorbei – unbemerkt und unheimlich schnell.
Ich bin zwar auch froh, dass alles so flutscht, aber manchmal wünsche ich mir auch Langeweile. Einfach so dasitzen und nichts tun oder ganz ungeplant etwas tun. Einfach so mal zuschauen bei was auch immer und nicht handeln. Einfach mal nicht an die Zeit denken, nicht auf die Uhr schauen und nicht an das denken, was noch ansteht, erledigt werden muss oder was man nicht verpassen darf.
Die Zeitdiebe – die Grauen Herren wie sie bei Momo so wunderbar beschrieben werden – lauern doch überall. Und sie rauben einem nicht nur Zeit. Sie nehmen viel mehr mit: ganz viel Gefühl.
Alles wird immer mehr auf Effizienz getrimmt und dabei kontrollieren wir uns ständig selbst. Nicht falsch verstehen: Ich bin einerseits schon der Meinung, dass mein Smartphone mir vieles erleichtert und die ständige Erreichbarkeit ermöglicht es einem auch, flexibler zu sein und so. Aber gleichzeitig verlernt man doch auch die Zeit zu schätzen und es sich zu trauen, Zeit einfach mal zu vergeuden.

Gerade wenn man viel um die Ohren hat, schätzt man freie Zeit unheimlich. Aber gleichzeitig nimmt auch der Druck zu, die freie Zeit möglichst effizient zu nutzen – weil sie doch so kostbar ist.
Könnte man die Zeit zwischendurch einfach mal anhalten, – nur ein paar Sekunden – um sich selbst dabei zuzusehen, wie man gegen die Zeit anrennt und sie doch nicht aufhalten kann, ich würde es tun. Dann würde man vielleicht auch mal realisieren, dass man ganz schön viele sinnlose Dinge tut. Dann hätte man bestimmt auch wieder ein wenig Zeit für Langeweile. Dann würde einen bestimmt auch öfter die Muße küssen und man doch wieder effizienter in dem was man tut – nur anders und bewusst.