Archiv für den Monat: August 2012

Ab 30 wird man konservativ!? Kinder, Kinder, ….

Kaum ist man 30 Jahre alt, kaum hat man Kinder, muss man die Herdprämie befürworten und sich über laute Nachbarn beschweren. Oder? Ich glaube, ich habe schon wieder ein Orientierungslos gezogen.
Denkt, fühlt und handelt man automatisch anders, nur weil man Kinder hat? Und bedeutet Kinder zu bekommen immer, dass man ein großes Stück seiner Freiheit aufgeben muss? Sollte man dann überhaupt Kinder bekommen? Ich dachte immer, dass sich das einfach von selbst ergibt. Dann wenn es eben so sein soll.
Um so näher ich dem Alter von 30 Jahren rücke, umso mehr erzählen alle um mich herum, wie wichtig doch Kinder sind und dass man nur dann so richtig „Mensch“ bzw. „Frau“ ist, wenn man ein Kind – oder zwei oder drei – hat. So ein Quatsch. Wo bleibt denn da die ganze erkämpfte Individualität und warum bedingt das Kinderkriegen immer, dass sich dann das ganze Leben ändert. Vielleicht bin ich naiv!? Aber ich denke, dass man auch ohne das Betreuungsgeld und ohne die selbst gegründete Öko-Kita glückliche Kinder großziehen kann.

Gegen kleine Ego-Monster

Vielleicht muss man das typische „ich will nie so werden wie meine Mutter“ und „meine Kinder nie so erziehen“ auch auf die ganzen Klugscheißer übertragen, die einem sofort die ultimativen Weisheiten näher bringen wollen, wenn man nur einmal das Wort „Kind“ in den Mund nimmt. Es gibt wohl kaum ein anderes Thema, bei dem immer alle alles besser wissen, als beim Kinderkriegen. Aber wenn man sich dabei nur auf die anderen verlässt, kann man doch nur eine spätgebärende, alleinerziehende Prenzlauerberg-Mutti werden, die nur noch über Bio-Breichen philosophiert und kleine Ego-Monster heranzüchtet. Oder nicht?
Wie ernst muss man das alles nehmen? Was muss man beim Kinderkriegen planen und wiese geht das nur im Ausschlussverfahren? Kind oder Job – Spaß im Leben oder Spaß nur noch auf dem Spielplatz – Zeit für sich oder Zeit fürs Kind – Urlaub, Freizeit, Hobbys oder Kinderturnen, Blockflötenunterreicht und Häkelkurs.
Ganz konkret habe ich das jetzt in den vergangenen Tagen erlebt bei den Recherchen zu einem Text über die aktuelle Kita-Platz-Lage in Berlin. Es fehlen Plätze, so viel ist sicher. Aber die ganzen Horrorszenarien, die man dann erzählt bekommt, von schwangeren Frauen, die sich mit dem Ultraschallbild in der Hand auf die Suche machen oder die 300 Euro extra zahlen müssen – ein wenig Bakschisch für die Waldorffpädagogen sozusagen – scheinen mir doch etwas sehr weit hergeholt. Ich bekomme jetzt das Gefühl nicht los, dass mit jedem neuen Kind, das in die Welt gesetzt wird, auch ein neuer Wettkampf entsteht: ein Wettkampf um die immer noch besseren Kitas, die noch bessere frühkindliche Förderung und die tollste neue Kleinfamilie, die nun über die großstädtischen Spielplätze tobt.

Warum denn so verbissen?

Kinderkriegen soll doch angeblich glücklich machen, zum Urinstinkt der Frau gehören und eine Beziehung erst so richtig komplettieren. Aber warum dann so verbissen?
Ich habe es tatsächlich erlebt, dass sich Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, – also meine Generation – die linksalternativ aufgewachsen sind, sich selbst als emanzipiert beschreiben und es für selbstverständlich halten, dass Frauen heute zur Schule gehen, wählen und ein eigenes Konto besitzen dürfen, für die Herdprämie aussprechen. „Endlich wird dann mal anerkannt, was eine Mutter leistet“ heißt es da und „natürlich würde ich mein Kind lieber selbst betreuen als es in eine Kita zu geben“. Häh? Für mich eine verkehrte Welt.
Erst kam die große Individualisten-Welle nach den 68ern und mit ihr die Singlegesellschaft, die ja heute noch überwiegen soll. Aber ganz aktuell kommt nun auch eine neue Gegenbewegung auf. Wer weiß, vielleicht ist die noch viel radikaler konservativ als die Zeit vor 68, vor den 20er Jahren und vor der französischen Revolution! Vielleicht suchen die Menschen wieder nach ganz Greifbarem und nach Werten und klaren Vorgaben. Oh, das klingt gefährlich!
Ich will jetzt nicht davon reden bzw. schreiben, dass damit die Ideale aller weiblichen Freiheitskämpfer verraten werden. Aber warum denkt denn niemand weiter? Warum ist es plötzlich so toll, nur noch Kuchen zu backen, Mutter-Kind-Treffen zu organisieren und mit dem eigenen Kind ganz viel Zeit zu verbringen? Zwar sind dabei auch immer mehr Männer beteiligt, aber auch die können sehr radikal sein. Ich habe echt erlebt, wie Männer zu Glucken werden – eigentlich toll. Trotzdem finde ich es auch erschreckend, wie extrem viele Menschen bei diesem Thema reagieren.

Ich suche noch

Warum gibt es so wenige coole Muttis und Papas mit coolen Kindern? Warum denken alle Kinderkrippe wäre gleichzusetzen mit zehn Stunden Nanny-Betreuung und einem traumatisierten Kind ohne Elternbindung, das später sicher einmal Drogen nimmt und manisch-depressiv wird? Warum meint fast jede Mutter, dass sie eine langjährige Erzieherausbildung so einfach ersetzen kann? Und warum stellen sich so wenige Arbeitgeber, Kitas und andere Eltern auf Kompromisse ein?
Manchmal glaube ich auch, dass das Kinderkriegen für viele meiner Generation gerade jetzt eine Flucht ist vor den unendlichen Möglichkeiten. Mit Kind hat man immer eine gute Ausrede, nicht aktiv zu werden mit dem eigenen Job, dem eigenen Leben und der Verwirklichung der Träume. Man macht es sich ziemlich einfach und den Kindern zunehmend schwer, denn wenn man selbst keine Orientierung hat, kann man diese auch nicht weitergeben. Ich suche auch noch.

Wie viel "Ich" ist gut für die Welt?

Der Mensch ist doch ein Rudeltier, oder nicht? Warum leben die meisten Menschen in engen Großstädten? Warum wollen alle Teil der ganz großen Communities wie Facebook und Co sein? Warum sind in Deutschland Vereine so beliebt und warum gehen die meisten lieber ins Stadion statt zuhause Sport im Fernsehen zu schauen, wo man auch was sieht und nicht nur Gebrüll im Ohr hat? Das mit der Single-Gesellschaft ist doch Quatsch.

Schaut man sich aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts an, dann steht da: „In der Großstadt lebt jeder dritte Deutsche allein, in kleineren Städten jeder fünfte.“ Das ist doch Wahnsinn. Man lebt allein und sucht dann ständig und überall nach Gemeinschaft – Häh? Warum so kompliziert? Andererseits heißt es ja auch überall „Nimm Dich ernst“, „Tu Dir was Gutes“, „Sei auch mal ein bisschen Egoist“ etc. Vor allem die Werbung sagt ja, dass man nur nach den ganz individuellen Bedürfnissen leben soll. Aber was ist, wenn man dann mal Hilfe braucht?
Ich habe immer das Gefühl, dass für viele immer nur das Extreme geht. Man kann aber doch auch in der Gemeinschaft noch eigenständig sein. Man kann doch eine Großpackung Kekse auch teilen und trotzdem satt werden statt für die kleine einen teuren Single-Sonderpreis zu zahlen und dann alleine und unglücklich mampfen – nur weil man dann unabhängig von allen anderen ist. Oder nicht? Teilen macht doch Freude oder bin ich jetzt voll blauäugig?

Ich will jetzt gar nicht so sprechen bzw. schreiben als könne man nur in der Großkommune ohne eigenen Besitz und so glücklich werden. Das ist auch Quatsch, denn das wäre ja das andere Extrem und wahrscheinlich für die meisten von uns auch ungesund. Wir haben ja das Besitzdenken so gelernt und es macht ja auch Spaß und zufrieden, eigene Dinge zu besitzen, die keinem anderen gehören. Aber auch Dinge geschenkt zu bekommen bzw. gegen andere zu tauschen, macht glücklich – auch wenn es ein Tausch gegen einen schönen Abend oder auch mal das gegenseitig Helfen ist.
 In der „Zeit“ war in der letzten Ausgabe so ein schöner Artikel über gute Nachbarschaft und da dachte ich mir, dass es das genau ist, was man heute braucht: Gute Nachbarn, die man mal um einen Gefallen bitten kann – ohne dass die gleich eine direkte Gegenleistung oder etwas vom Abendbrot oder so abhaben wollen. Reichen muss doch eigentlich die Garantie, dass man selbst das gleiche tun würde.

Warum tun sich eigentlich so wenige zusammen, um die Blumenerde im Baumarkt im 100-Liter-Sack zu kaufen, der nur die Hälfte kostet? Und warum teilen sich in der Großstadt so wenige ein Auto? Warum putze ich nur mein Fahrrad statt auch das meiner Freunde gleich mit, wenn ich schon mal dabei bin? Und warum backt mir keiner einen Kuchen mit, wenn er schon beim Backen ist?

Ich fände es so toll, Leute zu finden, die Extreme auch so hassen wie ich. Der Kompromiss ist doch eigentlich (fast) immer die beste Lösung. Und damit meine ich eben genau einerseits das Obengenannte und andererseits dass ich nicht immer alle Fahrräder putzen will und nicht immer Kuchen mag, aber dass man diese Wege doch mal mitdenken oder anbieten könnte. Ich bin auch gerne mal allein, aber doch nicht grundsätzlich. Und ich packe mir auch öfters mal eine Feuchtigkeitsmaske aufs Gesicht, die Füße in eine Schüssel mit warmem Wasser und mache tolle Musik an, aber trotzdem muss ich nicht ständig laut vor mich hinsagen „Ich tue was für mich, weil ich es mir Wert bin“ oder so einen anderen Psycho-Quatsch.
Es ist doch auch in einer Beziehung – egal ob Partnerschaft, Freundschaft oder Familie – so, dass man einerseits eine Gemeinschaft bildet und andererseits man selbst bleibt. Wenn das nicht klappt, dann klappt auch nichts Weiteres mit dieser Beziehung. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt und das ist meiner Ansicht nach auch der Grund, warum Beziehungen scheitern: Die Extreme. – Sprach Partnertherapeutin Jana T.
Das ist so schwierig und natürlich muss das auch jeder für sich wissen. Ich finde Raclettegeräte mit einem Pfännchen aber auf jede Fall extrem traurig – das habe ich wirklich im Laden gesehen und ich hätte beinahe geweint. Genauso finde ich aber auch Statistiken erschreckend, die zeigen, dass den (westlichen) Gesellschaften die Individualität über alles geht. Natürlich ist jeder individuell und keiner möchte sich austauschbar fühlen, aber müssen wir das immer so betonen? Ich grüble und suche weiter…….

Mit meinem Titel meine ich übrigens nicht mich selbst. „Ich“ steht für das bei vielen all zu große Ego und nicht für mich. Wer mein Ego hier zu stark findet, der kann ja weglesen, denn ich hoffe, ich bin hier noch zu ertragen.

Einfach mal was Gutes tun!

Kennt Ihr das tolle Lied „Gutes tun“ von Funny van Dannen? Er singt von Kleinigkeiten im Alltag, die jeder einfach so tun kann, um anderen zu helfen. Das klingt pathetisch, ist aber eigentlich so naheliegend. Ich habe in der vergangenen Woche zwei der Berliner „Sozialhelden“ getroffen und denke seitdem übers „Gute tun“ nach und warum so viele Unternehmen momentan darauf setzen, so zu tun, als würden sie was Gutes tun. Müssen wir alle wieder ein bisschen sozialer werden? Und was hat die Wirtschaft mit einer sozial eingestellten Gesellschaft zu tun?
Krombacher rettet den Regenwald, Adidas stellt Turnschuhe für Arme her und Rewe spendet für die Tafeln. Kaum ein Unternehmen hat heute kein eigenes Projekt, mit dem es etwas für die Armen, die Kranken oder die Umwelt tut. Natürlich steht für diese Firmen vor allem das eigene Image im Vordergrund, wenn sie ihre Wohltaten mit vermeintlicher sozialer Verantwortung tarnen und dafür große CSR-Kampagnen (Corporate Social Responsibility) starten. „Green Washing“ oder „Social Washing“ nennen das die Kritiker. Doch bei all den Vorwürfen, – zum Beispiel durch die Autorin Kathrin Hartmann mit ihren Büchern „Ende der Märchenstunde“ oder „Wir müssen leider draußen bleiben“ (trotzdem sehr sehr lesenswert) – die ich auch für richtig halte, muss man doch irgendwie auch sagen: „Hey, warum nicht. Wenn es denjenigen, die damit eine Unterstützung bekommen, weiterhilft, dann kann man über das Reinwaschen auch ein wenig hinweg schauen.“
Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass man sich dessen bewusst ist, dass hier eben nicht nur die Schwachen profitieren und die betreffenden Firmen vor allem eines wollen, nämlich „Verkaufen“. Andererseits weist die Tatsache, dass es so viele „Baustellen“ gibt, für die soziales Engagement und Spenden nötig sind, doch auch auf die Defizite staatlichen Handelns hin. Unser Sozialsystem hat wohl zu viele Lücken. Oder liegt es an uns selbst? Was kann, muss und sollte man selbst für Andere tun? Sind wir wirklich alle zu maßlosen Egoisten geworden?
Vielleicht fehlt uns ja einfach ein bisschen Mut zur Idee oder gar zum Idealismus, dass es möglich ist, die Welt noch zu ändern. Dass es mit einfachen Mitteln machbar ist, dass sich jeder auch ein bisschen um den Anderen kümmert und wir so alle voneinander profitieren – das klingt jetzt schon wieder total pathetisch, aber wer ist denn wirklich gerne allein und nie auf die Hilfe anderer angewiesen.
Für eine Reportage über Berliner Erfinder, die demnächst von mir erscheint, habe die zwei von den Sozialhelden getroffen. Die Sozialhelden sind ein Berliner Verein, der sich immer wieder Neues einfallen lässt, um „Gutes zu tun“. Am bekanntesten sind dabei wohl die Aktionen „Pfandtastisch helfen“ und „Wheelmap“. Aber hört doch am besten selbst zu, wie Raul Krauthausen selbst erklärt, was die Sozialhelden sind. Die Aufnahmen sind bei meinem Interview entstanden (deshalb meine „unqualifizierten“ Grunztöne im Hintergrund). Der zweite Sozialheld auf den Fotos ist Andi Weiland.
Die Sozialhelden haben meiner Meinung nach einen neuen Ansatz gefunden, den Einsatz für Soziales näher an die Menschen heranzubringen. Mit Aktionen, bei denen jeder ganz einfach mitmachen kann, der aber nicht dazu führt, jemanden anzuklagen oder Ähnliches. Es geht um ein Angebot, ein Angebot mitzumachen und einfach den Pfandbon für eine gute Sache zu spenden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Für mich war die Lehre aus dem Ganzen zuerst einleuchtend: „Mehr Soziales in die Wirtschaft“ und schon ist geholfen, aber so einfach ist es nicht. Jeder sollte schon ein Stück weiterdenken und auch mal das System hinterfragen, in dem wir leben und arbeiten. Aber damit man viele Menschen bewegen kann, braucht es in unserer komplexen Welt eben auch einfach Lösungen. Raul sagte zu meiner Frage, ob es der Ansatz der Sozialhelden wäre, mehr Soziales in die Wirtschaft zu bringen, Folgendes:
Es geht vor allem um Möglichkeiten und Chancen, die fehlen, um unsere Gesellschaft als gerecht zu bezeichnen. Aber wer ist dafür zuständig diese zu schaffen? Was können wir selbst dazu beitragen? Vermutlich sind es wirklich solche Ansätze von Angeboten, die einerseits neue Chancen für die vermeintlich Schwächeren bieten und andererseits selbst keine neue Exklusion schaffen. „Jeder kann mitmachen“ ist hierbei das Motto. Und vielleicht sollte man viel mehr anerkennen, dass solche Ansätze, heute als innovativ und fortschrittlich bezeichnet werden und nicht als erstes der Fortschritt, den große Firmen mit neuen CSR-Konzepten haben und nicht die Schönen und Reichen, die viel Geld spenden. Vielleicht ist es gerade der Einsatz im Kleineren, der überzeugt und zum Umdenken anregt. Wichtig finde ich jedoch, dass das Eine das Andere nicht ausschließen muss.
Bei der interaktiven Weltkarte für Rollstuhl gerechte Orte „Wheelmap“ ist das auch so: